Vereinsgeschichte

Seit 1984: Nicaragua Verein Hamburg

  1979 wurde in Nicaragua die Gewaltherrschaft des damaligen Diktators Somoza durch einen Volksaufstand gestürzt. Die Sandinistische Nationale Befreiungsfront FSLN – bis heute auch als Sandinisten bezeichnet – führte das nicaraguanische Volk in eine Revolution, die dem Land Freiheit und Selbstbestimmung bringen und vor allem den Armen auf dem Lande und in der Stadt dienen sollte.

Anfang 1980 übernahm der rechts-konservative Ronald Reagan die Präsidentschaft in den USA und rückte sehr schnell von der „neutralen“ Haltung seines demokratischen Vorgängers gegenüber der nicaraguanischen Revolution ab. Mit allen Mitteln wirtschaftlichen und politischen Drucks sowie auch geheimdienstlicher und militärischer Aktionen ging er gegen die junge Regierung Nicaraguas vor.

In Deutschland und auf der ganzen Welt bildete sich eine breite Solidaritätsbewegung mit Nicaragua und auch zur Unterstützung der anderen Befreiungsbewegungen in der Region. In Hamburg gab es Komitees zu Nicaragua, EI Salvador, Guatemala und Honduras. Zusammen bildeten sie die Mittelamerika-Koordination, die wiederum mit den Freundschaftsinitiativen zu Kuba und Grenada zusammenarbeitete.

Die Sandinisten Nicaraguas gewannen international vor allem durch die Beteiligung vieler Christen und durch den breiten politischen Pluralismus ihres Weges Anerkennung. Auf einer sehr gut besuchten Veranstaltung im September 1983 in der Fabrik schlug der sandinistische Priester und Kulturminister Ernesto Cardenal das erste Mal öffentlich vor, eine Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und einer Stadt Nicaraguas aufzubauen.

Nur einen Monat später besetzten im Oktober 1983 US-Landungstruppen die kleine Karibik-Insel Grenada und nahmen die dortige Revolutionsregierung gefangen. Innerhalb weniger Wochen bildeten sich daraufhin in vielen Ländern der Welt Arbeitsbrigaden, die durch ihre zivile Aufbauarbeit das sandinistische Nicaragua demonstrativ unterstützen wollten

Die persönliche Anwesenheit tausender Westeuropäer, Nord- und Südamerikaner und Japaner in Nicaragua sollte ein „menschliches Schutzschild“ gegen eine nun befürchtete militärische Intervention nach dem Muster Grenadas bilden. Seitdem nahmen Dutzende von Frauen und Männern aus Hamburg an diesen Arbeitsbrigarden teil, um in der Kaffee-Ernte oder beim Häuserbau zu helfen, um in Krankenhäusern oder als sonstige technische Spezialisten zu arbeiten.

Nach dem Ende des ersten Arbeitseinsatzes über die Jahreswende 1983/84 fuhren zwei Mitglieder dieser „Kaffee-Brigade“ im Auftrag der Hamburger Mittelamerika-Koordination nach León, um erste Kontaktgespräche mit dem dortigen Gemeinderat zu führen. Sie sollten konkrete Schritte zum Aufbau von Basispartnerschaften zwischen Hamburg und León vorbereiten.

In dieser Situation wurde im Frühjahr 1984 der Nicaragua Verein Hamburg e.V. als gemeinsames Projekt aller Mittelamerika-Komitees gegründet, um insbesondere für Spenden Bescheinigungen zur Steuerbefreiung ausstellen und um als Veranstalter von Bildungsreisen fungieren zu können. Das erste große Projekt des Vereins war eine Bildungsreise im Sommer 1984, deren ausdrückliches Ziel es war, in Hamburg eine starke Lobby für das Projekt der Städtepartnerschaft mit León aufzubauen. An dieser Reise nahmen aus der Bürgerschaft ein Vertreter der SPD und eine Vertreterin der GAL, ein Mitarbeiter der Senatskanzlei, Pressevertreter, eine Pastorin, Gewerkschafter und andere teil, die nach ihrer Rückkehr in ihren jeweiligen Einflussbereichen für das vereinbarte Ziel arbeiteten.

Gleichzeitig wurden mehr und mehr Kontakte zwischen Schulen beider Städte, zwischen Gewerkschaften, Kirchengemeinden, Kindergärten u.s.w. geknüpft, die zunächst über den Nicaragua Verein koordiniert wurden und sich später teilweise völlig verselbstständigten. Es kamen Universitäts-Kontakte, gemeinsame Künstler-Projekte, Frauenprojekte und der Jugendaustausch hinzu. Öffentliche Informationsarbeit, finanzielle Abwicklungen, Übersetzungen, weitere Bildungsreisen, Besuche in beiden Richtungen, regelmäßige Kontakte zum Hamburger Senat … – all dies war schon seit dieser Zeit die alltägliche Arbeit des Nicaragua Vereins.

Im Jahr 1989 ist es dann tatsächlich zur Unterzeichnung eines Städtepartnerschafts-Vertrages zwischen Hamburg und León gekommen.

Seit dieser Zeit arbeitet der Nicaragua Verein Hamburg vorwiegend als Koordinationsinstanz von Basispartnerschaften, aber auch mit eigenen Projekten, die teilweise in Kooperation mit anderen Organisationen oder auch dem Senat durchgeführt werden. Weiterhin sind die Herausgabe der Nicaragua Zeitung oder die Teilnahme an Kampagnen – beispielsweise für die Entschuldung Nicaraguas – wichtige Bestandteile seiner Arbeit.

Ab Mitte der 90er Jahre nahm das öffentliche Interesse an Nicaragua und auch an Hamburgs Partnerstadt León deutlich ab. Gleichzeitig bekamen die offiziellen Senatsaktivitäten ein wachsendes Gewicht in der veröffentlichten Meinung. Diese erschwerten Bedingungen führten zum Verlust einiger langjähriger Aktivisten. Unter den Verbleibenden mehrten sich die Stimmen, dass eine deutlichere Grenzziehung gegenüber dem Senat nötig sei. Auch die Mitarbeit im Koordinationskreis León-Hamburg wurde heftig diskutiert. Einige Jahre interner Auseinandersetzungen haben dem Nicaragua Verein auf diese Weise Kraft und Ansehen gekostet.

Aber als der Hurrikan Mitch Ende 1998 gemeinsames Handeln erforderte, waren alle, die noch daran interessiert waren, unseren Freunden in León tatsächlich zu helfen, wieder an einem Tisch und brachten gemeinsam mit vielen anderen diese enorme Hilfsaktion zustande, die weit über Hamburgs Stadtgrenzen hinaus beispielgebend ist.

Der Nicaragua Verein verfolgt seit seiner Entstehung klare politische Ziele: Das Volk Nicaraguas – speziell die Menschen der Partnerstadt León – soll dabei unterstützt werden, einen selbstbestimmten Weg zu gehen, der sich an den Bedürfnissen der armen Bevölkerungsmehrheit orientiert; es soll Hilfe zur Selbsthilfe geleistet werden. Unsere Partner sollen ermutigt und auch materiell in der Lage versetzt werden, die eigenen Geschicke selbst in die Hand zu nehmen; aber auch hier bei uns soll ein Bewusstsein für strukturelle Ungerechtigkeiten auf dem Weltmarkt entwickelt und an deren Überwindung gearbeitet werden.